Zuletzt aktualisiert am 21. Januar 2023 um 21:49
Altersprozesse, ein Ameisenhaufen molekularer Aktivität
Wir alle wissen, wie die Folgen der Altersprozesse aussehen. Falten in der Haut, graue Haare, Probleme mit den Gelenken… doch die damit verbundene Biologie der Altersprozesse ist ungemein kompliziert. Erst seit kurzem beginnen Wissenschaftler zu verstehen, was genau das Altern auf der Zellebene antreibt.
Aber nach wie vor stellt das Altern für Forscher ein Puzzle mit vielen fehlenden Teilen dar. Der menschliche Körper gleicht einem komplexen Ameisenhaufen von molekularer Aktivität, in dem ständig 1000 Dinge gleichzeitig passieren.
Altern betrifft alle Gewebe im Körper
Das Altern betrifft alle Gewebe im Körper. Deshalb gibt es kein Molekül oder einen bestimmten Signalweg, der Altern verursacht. Zahlreiche biologische Faktoren interagieren miteinander und führen zu den bekannten Folgen der Altersprozesse.
Um in diesem komplexen Geflecht zumindest einige Anhaltspunkte zu finden, identifizierten Wissenschaftler im Jahr 2013 neun Merkmale des Alterns, die auf den damals neuesten Forschungsergebnissen basierten:
- Genomische Instabilität
- Abrieb der Telomere
- Epigenetische Veränderungen
- Verlust der Proteostase
- Deregulierte Nährstofferkennung
- Mitochondriale Dysfunktion
- Zelluläre Seneszenz
- Erschöpfung der Stammzellen
- Veränderte interzelluläre Kommunikation
Diese neun Markenzeichen wurden schnell zu Leitbildern, die das Feld der wissenschaftlichen Forschung prägten. Trotz dieser Grundlage ist die Biologie des Alterns ein Gebiet, in dem Forscher in einigen Fragen verschiedener Meinung sind.
Deshalb wird gefordert, dass die Merkmale für Altersprozesse erweitert werden sollen. Neue Erkenntnisse der Wissenschaftler belegen, dass die bisherigen Kennzeichen nicht ausreichen. Aktualisierte Kennzeichen könnten die Forschung leiten und das Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen verbessern.
Neueste Erkenntnisse vom Alterungstreffen in Kopenhagen
Auf dem Kopenhagener Alterungstreffen 2022 wurden deshalb den älteren Markenzeichen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse hinzugefügt, die in einem wissenschaftlichen Review veröffentlicht wurden.
Die Autoren schlagen folgende Erweiterungen vor:
- Beeinträchtigte Autophagie
- Mikrobiomstörung
- Veränderte mechanische Eigenschaften
- Spleiß-Dysregulation
- Entzündung
Beeinträchtigte Autophagie: Autophagie ist ein Prozess, bei dem beschädigte Zellbestandteile entfernt und recycelt werden. Früher war es im älteren Merkmal „Verlust der Proteostase“ enthalten. Aber die Forscher weisen darauf hin, dass es auch an anderen Prozessen wie der DNA-Reparatur und dem Stoffwechsel beteiligt ist.
Störung des Mikrobioms: Fortschritte in der Metagenomik und die Erkenntnis, dass jeder von uns eine Vielzahl von Mikroben in seinem Darm beherbergt, haben uns gezeigt, dass es altersbedingte Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms gibt. Hinzu kommt, dass unsere Darmschleimhaut im Alter an Integrität verlieren kann.
Veränderte mechanische Eigenschaften: Innerhalb und außerhalb der Zellen verändern sich die mechanischen Eigenschaften mit dem Alter. Das wirkt sich auf die Funktionsweise unseres Bindegewebes und der übrigen extrazellulären Matrix aus. Das wiederum verändert die Art und Weise, wie wir uns und unsere Zellen bewegen. In unseren Zellen beginnen die strukturellen Elemente, sowohl der Zelle als Ganzes als auch des Zellkerns im Besonderen, mit zunehmendem Alter an strukturellen Integritätsproblemen zu leiden. Dadurch laufen Prozesse in der Zelle (einschließlich DNA-Erhaltung und -Reparatur) weniger effizient ab.
Spleiß-Dysregulation: Damit die Blaupause DNA für das Falten von Proteinen verwendet werden kann, brauchen wir den Zwischenschritt RNA. Die RNA-Produkte werden „gespleißt“, bevor sie in Proteine übersetzt werden. Nicht codierende RNA-Bits (Introns) werden dabei entfernt und die verbleibenden Stücke (Exons) werden zusammengefügt. Diese Spleißmuster ändern sich mit dem Alter, was die Genexpression verändern oder zu fehlerhaften Proteinen führen kann.
Entzündung: In den ursprünglichen Kennzeichen des Alterns war Entzündung in der veränderten interzellulären Kommunikation enthalten. Allerdings wissen wir jetzt, dass Altersprozesse stark mit niedriggradigen Entzündungen verbunden sind. Diese Beziehung ist so stark, dass dieses Kennzeichen sogar einen eigenen Namen bekommen hat: Inflamm-Aging.
Die Wissenschaft hat bisher auf dem Gebiet des Alterns enorme Fortschritte erzielt. Aber eine einheitliche Theorie des Alterns, die den Prozess vollständig erklären kann, fehlt immer noch. Es gibt noch viele offene Fragen, sowohl auf zellulärer als auch auf organischer Ebene.
Quelle:
Schmauck-Medina T, Molière A, Lautrup S, Zhang J, Chlopicki S, Madsen HB, Cao S, Soendenbroe C, Mansell E, Vestergaard MB, Li Z, Shiloh Y, Opresko PL, Egly JM, Kirkwood T, Verdin E, Bohr VA, Cox LS, Stevnsner T, Rasmussen LJ, Fang EF. New hallmarks of ageing: a 2022 Copenhagen ageing meeting summary. Aging (Albany NY). 2022 Aug 29;14(16):6829-6839. doi: 10.18632/aging.204248. Epub 2022 Aug 29. PMID: 36040386; PMCID: PMC9467401. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36040386/)