Verschränkung von Protonenspins gemessen
Die Ergebnisse der neuen Studie könnten zu zahlreichen Erkenntnissen über die Funktionen von Neuronen und über die Grundlagen der Quantenmechanik führen. Zusätzliche Forschung könnte zum Beispiel erklären, warum unser Gehirn beim Treffen von Entscheidungen oder dem Erlernen neuer Informationen selbst modernen Supercomputern immer noch überlegen ist.
Grundlage der aktuellen Untersuchungen war die Idee der Verschränkung aus der Quantenmechanik. Das bedeutet, zwei voneinander getrennte Teilchen befinden sich in Zuständen, die miteinander verbunden sind und verhalten sich identisch. Für die Gehirnforschung wurde ein Experiment aus der Quantenmechanik umgemodelt.
„Wir haben eine Idee adaptiert, die für Experimente entwickelt wurde, um die Existenz der Quantengravitation zu beweisen, wobei man bekannte Quantensysteme nimmt, die mit einem unbekannten System interagieren“, sagt der Physiker Christian Kerskens von der Universität Dublin.
Quantenprozesse zwischen bekannten und unbekannten Systemen
Wenn sich die bekannten Systeme und ein unbekanntes System verschränken, dann muss auch das Unbekannte ein Quantensystem sein. Diese Anordnung umgeht die Schwierigkeiten, Messgeräte für etwas zu finden, von dem Wissenschaftler noch nichts wissen.
Mit anderen Worten: Die Verschränkung oder Beziehung zwischen den bekannten Systemen kann nur stattfinden, wenn das vermittelnde System in der Mitte – das unbekannte System – ebenfalls auf der Quantenebene operiert. Während das unbekannte System nicht direkt untersucht werden kann, können seine Auswirkungen wie bei der Quantengravitation beobachtet werden.
Bekanntes System: Protonenspins von Gehirnwasser
Für die Studie nutzten die Wissenschaftler die Protonenspins von Gehirnwasser als bekanntes System. Diese Flüssigkeit ist auch als Liquor bekannt. Sie fließt in dem Raum zwischen den verschiedenen Hirnhäuten und Rückenmarkshäuten. Sie erstrecken sich vom Großhirn entlang der Wirbelsäule bis zum unteren Rückenmark im Bereich der Lendenwirbelsäule.
Magnetresonanztomographien (MRT) wurde verwendet, um die Protonenaktivität nicht-invasiv zu messen. Der Spin eines Teilchens, der seine magnetischen und elektrischen Eigenschaften bestimmt, ist eine quantenmechanische Eigenschaft.
Dem Herzschlag ähnliche Potentiale gemessen
Durch diese Technik konnten die Forscher Signale sehen, die den vom Herzschlag hervorgerufenen Potentialen ähneln. Sie lassen sich wie eine Art Elektroenzephalographie (EEG)-Signal beobachten. EEGs messen elektrische Gehirnströme. Diese Signale sind normalerweise nicht durch MRT nachweisbar. Die Wissenschaftler vermuten, dass sie auftauchten, weil die nuklearen Protonenspins im Gehirn verschränkt waren.
„Wenn Verschränkung hier die einzig mögliche Erklärung ist, dann müssten Gehirnprozesse mit den Kernspins interagiert haben, die die Verschränkung zwischen den Kernspins vermittelt haben“, sagte Kerskens bei der Vorstellung der Studie: „Als Ergebnis können wir ableiten, dass diese Gehirnfunktionen Quantenfunktionen haben müssen.“
Nutzt Bewusstsein Quantenprozesse?
Die Gehirnfunktionen, die die MRI-Messwerte beleuchteten, wurden auch mit dem Kurzzeitgedächtnis und der bewussten Wahrnehmung in Verbindung gebracht. Falls künftige Forschungen die Quantenfunktionen im Gehirn bestätigen, dann spielen Quantenprozesse eine entscheidende Rolle beim Bewusstsein und der geistigen Leistung.
Bis zu einem vollständigen Verständnis des unbekannten Quantensystems in unserem Gehirn ist jedoch noch ein weiter Weg. Interessanterweise wurden die Experimente für diese neue Studie nur 50 Meter entfernt von dem Hörsaal durchgeführt, in dem der berühmte Quantenphysiker Erwin Schrödinger Vorträge hielt.
Das berühmte Gedankenexperiment Schrödingers Katze bringt das Tier in einen Zustand, in dem es theoretisch gleichzeitig lebendig und tot ist. Nur durch direkte Beobachtung lässt sich dieser Mischungszustand entscheiden.
Multidisziplinäre Ansätze für Bestätigung
Kerkens hofft, dass die neuen Experimente Licht in die Geheimnisse der Biologie und des Bewusstseins bringen. Bisher ist es Wissenschaftlern nicht gelungen, Bewusstsein überzeugend zu definieren und die Funktionsweise von Bewusstsein zu klären.
Um die Ergebnisse der Studie zu bestätigen, sind vermutlich mehrere multidisziplinäre Ansätze nötig. Würde es gelingen, könnte die Quantenmechanik das Verständnis der Funktionsweise von Gehirnfunktionen entscheidend verbessern. Diese Erkenntnisse könnten auch dazu beitragen, innovative Technologien aufzudecken und noch fortschrittlichere Quantencomputer zu bauen. Die Studie wurde im Journal of Physics Communications veröffentlicht.
Quelle:
Kerskens, Christian & López Pérez, David. (2022). Experimental indications of non-classical brain functions. Journal of Physics Communications. 10.1088/2399-6528/ac94be. (https://www.researchgate.net/publication/363852167)