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Neue Therapie für Multiple Sklerose zielt auf Virus ab

Geschrieben von:

Kornelia C. Rebel

Medizinisch überprüft von:

Dr. Barbara Müller

Inhaltsüberblick

Zuletzt aktualisiert am 24. November 2022 um 14:46

Kleine Teilnehmerzahl, signifikante Wirkung

Die klinische Phase-1-Studie bestätigt, dass latente Epstein-Barr(EBV)-Infektionen effiziente Ziele für die Behandlung von MS bei zumindest einigen Patienten sind. Bereits seit einiger Zeit vermuten immer mehr Wissenschaftler eine Verbindung zwischen dem Virus und der tödlichen Autoimmunerkrankung, von der Millionen Menschen betroffen sind. (Wir haben bereits darüber berichtet).

Von den 24 Freiwilligen der Studie, alle Patienten mit Multipler Sklerose, zeigten 20 Anzeichen einer Verbesserung oder zumindest eines Stopps ihrer stetigen Verschlechterung. Wichtig ist, so die Studienautoren, dass es keine Anzeichen für schwerwiegende Nebenwirkungen gab.

So vielversprechend diese ersten Ergebnisse auch erscheinen mögen: Die Verfasser der Studie weisen darauf hin, dass die Studie noch nicht von Experten begutachtet wurde. Die sogenannte Peer-Review ist ein wichtiger Schritt für die Glaubwürdigkeit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung.

Zudem ist der Weg von kleinen klinischen Studien zum zugelassenen Medikament steinig. Um versteckte Risiken aufzudecken oder den Wert der Behandlung aufzuzeigen, sind Jahre der Forschung auf der Grundlage größerer, immer vielfältigerer Gruppen von Freiwilligen erforderlich.

Aber es gibt gute Gründe zu glauben, dass die Bekämpfung des ruhenden Virus der Schlüssel sein könnte, um einen bestimmten Aspekt von MS zu bremsen – den fortschreitenden Abbau von Myelin, der „Isolierung“, die Nervenzellen schützt.

Die Symptome einer EBV-Infektion, auch bekannt als Pfeiffersches Drüsenfieber, sind selten schwerwiegend. Aber das Virus bleibt im Körper, bereit für eine mögliche zukünftige Reaktivierung. Die Folgen seines Wiederauftretens reichen von gutartig bis tödlich.

Seit einigen Jahren vermuten Wissenschaftler Verbindungen zwischen EBV und verschiedenen Autoimmunerkrankungen, Krebs und chronischem Erschöpfungssyndrom/myalgischer Enzephalomyelitis (CFS/ME).

Bereits in den frühen 1980er Jahren bemerkten medizinische Forscher, dass eine übermäßige Anzahl von Blutproben von Menschen mit MS erhöhte Spiegel von Epstein-Barr-Virus-Antikörpern aufwiesen.

Wie die beiden zusammenhängen könnten, ist eine ständige Frage, obwohl eine kürzlich von Forschern in Harvard veröffentlichte Längsschnittstudie ergab, dass eine EBV-Infektion „das Risiko einer nachfolgenden Multiplen Sklerose stark erhöht“.

Eine weitere aktuelle Studie von Forschern der Stanford University zeigte, dass fast ein Viertel der MS-Patienten Antikörper haben, die sowohl an ein EBV-Protein namens EBNA1 als auch an ein Protein binden, das von unserem eigenen Nervensystem namens Gliazellen-Adhäsionsmolekül oder GlialCAM produziert wird.

Der Myelinverlust bei Multipler Sklerose ist in erster Linie für die vielfältigen Symptome der Krankheit verantwortlich. Diese reichen von Schwierigkeiten beim Gehen über kognitive Dysfunktion, Taubheitsgefühl und Kribbeln bis hin zu Schmerzen, Sehstörungen und sogar klinischer Depression.

Warum EBV das Immunsystem einiger Menschen ausschaltet und andere nicht, ist nicht bekannt. Die Genetik könnte eine wichtige Rolle dabei spielen.

Wenn die ständige Präsenz des Virus das Immunsystem einiger Menschen dazu veranlasst, ihr eigenes Myelin anzugreifen, könnte die Unterstützung bei der Beseitigung der Infektion zur Behandlung der MS-Symptome beitragen. Diese Idee wurde erstmals vor knapp einem Jahrzehnt durch die Übertragung von EBV-gerichteten Immunzellen in einen einzigen 42-jährigen Patienten getestet.

Ermutigt durch die Ergebnisse des Experiments führten Forscher in Australien bereits 2018 eine etwas größere Studie an 10 Patienten durch, nahmen die eigenen T-Zellen der Patienten und trainierten sie, virusbeladene Zellen zu jagen. Sieben der zehn Studienteilnehmer zeigten Anzeichen einer Verbesserung.

Anstatt die eigenen Zellen des Patienten zu verwenden, stützte sich die neue Studie von Atara Biotherapeutics auf speziell ausgewählte weiße Blutkörperchen von Spendern, in der Hoffnung, dass dies ein schnelleres, gebrauchsfertiges Verabreichungssystem bieten könnte.

Unter dem Namen ATA188 hoffen sie, dass die Therapie MS-Patienten nicht nur die Möglichkeit gibt, die EBV-Infektion in den Griff zu bekommen und somit ihre Symptome zu verbessern, sondern dass das „Spendermodell“ leicht erweitert werden kann, um eine größere Anzahl und eine größere Vielfalt von Patienten zu erreichen.

Nach Auskunft der Studienautoren berichtete die Hälfte von 18 Patienten über eine nachhaltige Verbesserung ihrer Behinderung.

Es gab keine Berichte über nachteilige Immunreaktionen. Spannend ist die Tatsache, dass die Studie auch das Nachwachsen von Myelin bewertete.

Hinweise auf eine Neubildung von Myelin um einige Nerven herum gibt einen soliden Grund zur Hoffnung, da dies bei MS-Patienten normalerweise nicht der Fall ist.

Quelle:

Lanz, T.V., Brewer, R.C., Ho, P.P. et al. Clonally expanded B cells in multiple sclerosis bind EBV EBNA1 and GlialCAM. Nature 603, 321–327 (2022). https://doi.org/10.1038/s41586-022-04432-7 (https://www.nature.com/articles/s41586-022-04432-7)

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