Zuletzt aktualisiert am 28. November 2022 um 13:32
Wirkung von Paracetamol unzureichend untersucht
Weltweit und auch hierzulande zählt Paracetamol zu den führenden Markenmedikamenten für leichte bis mittelschwere Schmerzlinderung. Aber wie gut wirkt das rezeptfreie Schmerzmittel tatsächlich? Eine umfassende Überprüfung bestehender Studien der Universität von Sydney zeigt jetzt, dass die genaue Wirkung bei einzelnen Beschwerden oft nicht ausreichend untersucht werde. Diese neue Rezension wurde Anfang April im Medical Journal of Australia veröffentlicht. Sie bezieht sich nur auf die schmerzlindernde Wirkung von Paracetamol, nicht auf die Verwendung des Medikaments, um Fieber zu senken.
Klicke hier auf das Video, um dir die Studienergebnisse von Kornelia C. Rebel erklären zu lassen.
Die meisten bisherigen Bewertungen (22 von 36 Studien in dieser systematischen Überprüfung) bezogen sich auf Einzeldosen des Schmerzmittels. Dabei wurde die Wirkung nach der Gabe von ein oder zwei Tabletten untersucht. Allerdings nehmen Verbraucher bei einer Selbstbehandlung das Medikament in der Regel mehrere Male ein. „Dies bedeutet, dass es eine Wissenslücke darüber gibt, wie wirksam das häufig eingenommene Schmerzmittel bei einer Reihe von Schmerzzuständen ist“, sagte die Studienautorin Dr. Christina Abdel Shaheed.
Diese neue systematische Metastudie zeigt, dass die Wirksamkeit von Paracetamol nur bei vier Arten von Schmerzen als erwiesen gelten kann. Zu diesen Zuständen zählen allgemeine Kopfschmerzen. Bemerkenswerte Erkenntnis: Paracetamol hat sich bei den besonders häufigen Schmerzen im unteren Rückenbereich als unwirksam herausgestellt. Dabei ist dieses Mittel bei Problemen mit dem Bewegungsapparat als Schmerzmittel überaus beliebt.
Bei folgenden vier Erkrankungen funktioniert Paracetamol demnach als Schmerzmittel:
- Knie- oder Hüftarthrosen
- Allgemeiner Spannungskopfschmerz (nicht Migräne)
- Schmerzen nach der Geburt im Perineum (Bereich zwischen Anus und Genitalien)
- Kraniotomie (Entfernung eines Teils des Schädelknochens)
Bei Rückenschmerzen liefert Paracetamol offensichtlich keine besseren Ergebnisse als ein Placebo. Bei anderen Schmerzarten, beispielsweise in den Ohren oder im Bauch, war die Wirksamkeit unklar.
Pikantes Detail am Rand: Paracetamol ist auf der Liste der wichtigsten Arzneimittel aufgeführt, die von der Weltgesundheitsorganisation 2017 veröffentlicht wurde. Damit gilt es als „unerlässlich, um die wichtigsten Bedürfnisse der öffentlichen Gesundheit weltweit zu befriedigen“.
Es wird häufig zur Behandlung von Muskel- oder Gelenkschmerzen, Schmerzen aufgrund von Verletzungen oder Operationen, Kopfschmerzen, allgemeinen Körperschmerzen oder krebsbedingten Schmerzen eingesetzt und wird sehr oft auch für die Behandlung von chronischen oder anhaltenden Schmerzen empfohlen.
Die Hauptautoren der aktuellen Metastudie, Dr. Christina Abdel Shaheed und Dr. Giovanni Ferreira vom Institut für Gesundheit des Bewegungsapparates an der Fakultät für Medizin und Gesundheit der Universität Sydney, sagten, dass der weit verbreitete Einsatz von Paracetamol zur Schmerzlinderung Anlass für diese neue Metastudie war.
Dafür überprüften die Wissenschaftler alle Übersichten über klinische Studien, in denen die Fähigkeit von Paracetamol zur Linderung von Schmerzen getestet wurde: Insgesamt wurden 36 Metastudien mit mehr als 19.000 Teilnehmern bewertet.
„Diese Überprüfung vereint zum ersten Mal alle vorhandenen Beweise für die Wirksamkeit von Paracetamol zur Schmerzbehandlung in einem Dokument“, so Dr. Abdel Shaheed.
„Bei Spannungskopfschmerzen wissen wir, dass Paracetamol besser wirkt als ein Placebo – aber bei den meisten anderen Erkrankungen fehlen uns einfach die Beweise, um starke oder endgültige Aussagen über die Wirksamkeit von Paracetamol treffen zu können“, sagte sie.
Dr. Giovanni Ferreira fügte hinzu: „Es ist klar, dass Paracetamol Rückenschmerzen oder die meisten Arten von Arthrose nicht wirksam lindert.“ Sie fordert deshalb die Erforschung von Strategien, die Menschen mit Schmerzen wirklich helfen.
Der Direktor des Instituts der Universität, Professor Chris Maher, wies darauf hin, dass Patienten die Schmerzlinderung häufig fälschlicherweise auf Paracetamol zurückführen: „Aus der Forschung wissen wir, dass der größte Beitrag zur Verbesserung der Schmerzen im unteren Rückenbereich wahrscheinlich vom Körper selbst kommt. Mit anderen Worten, Rückenschmerzen bessern sich oft von selbst.“
Selbst bei einer chronischen Erkrankung wie Arthrose schwanke die Intensität der Schmerzen häufig. Er plädierte deshalb für Studien, die sich mit der langfristigen Einnahme des Medikaments beschäftigen.
Studiendesigns mit Einzeldosen bieten demnach wenig Hilfe beim Verständnis der möglichen Auswirkungen von Paracetamol bei Menschen mit anhaltenden schmerzhaften Zuständen und bei der regelmäßigen Anwendung von Paracetamol zur Schmerzkontrolle.
Dr. Abdel Shaheed kam zu dem Schluss, dass Menschen sich nicht auf Schmerzmittel als eigenständige Behandlung zur Schmerzlinderung verlassen sollten. Jedes Schmerzmittel sollte als eine von mehreren Strategien eines schmerzlindernden Lebensstils und ganzheitlichen Pflegeplans betrachtet werden, zu dem auch Bewegung und Physiotherapie gehören.
Als falsch hat sich auch die weit verbreitete Ansicht herausgestellt, dass die Anwendung von Paracetamol als sicher gilt. Diese Meinung beruht auf einer kurzfristigen Anwendung in der empfohlenen Dosierung. Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die tägliche Maximaldosis bei 4 Gramm liegt. Allerdings solle man Paracetamol aufgrund möglicher Nebenwirkungen mehrmals täglich nicht ohne ärztlichen Rat einnahmen. Außerdem raten sie zu beachten, dass in zahlreichen rezeptfreien Schmerzmitteln Paracetamol enthalten ist, häufig in Kombination mit Ibuprofen.
Quelle:
Abdel Shaheed, C., Ferreira, G., Dmitritchenko, A., McLachlan, A., Day, R.O., Saragiotto, B., Lin, C., Langendyk, V., Stanaway, F., Latimer, J., Kamper, S., McLachlan, H., Ahedi, H. and Maher, C.G. (2021), The efficacy and safety of paracetamol for pain relief: an overview of systematic reviews. Med J Aust. https://doi.org/10.5694/mja2.50992 (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.5694/mja2.50992)